Raus aus der Komfortzone:
Meine beste Methode gegen Ängstlichkeit

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Janik Weyell verrät seine beste Methode gegen Ängstlichkeit

Was den Mut angeht bin ich ehrlich gesagt kein Naturtalent. Ängstlichkeit kenne ich hingegen ganz gut: Wenn ich auf meinen bisherigen Lebensweg schaue, findet sich die ein oder andere Situation, die durch geschicktes Ducken und Stillhalten besticht.

In dieser Hinsicht war die Pandemie eine erstklassige Gelegenheit, diese Fähigkeit zu perfektionieren: Die unsichtbare Gefahr lauerte um jede Ecke und Vermeidungstaktiken waren plötzlich nicht mehr als Produkt der Angst zu sehen, sondern sogar empfohlen.

Als die Pandemie anfing, sich etwas zu lichten, beschlichen mich die ersten leisen Zweifel. Die Menschen um mich herum erwachten aus ihrer Angststarre und schafften sich Freiräume. Die Rufe, jetzt doch vom Vermeidungssofa wieder runterzukommen, wurden lauter.

Mein Gehirn ist per Werkseinstellung auf Ängstlichkeit getrimmt

Richtig auf die Schliche bin ich mir gekommen, als ich angefangen habe, mich am DHI näher mit der RE&KVT und dem kognitiven Ansatz zu beschäftigen. Ich erkannte, dass mein Gehirn per Werkseinstellung auf Ängstlichkeit getrimmt ist.

Meine Neugier war geweckt und ich fing an, meine Angst zu untersuchen. Bald hatte ich eine zweite wichtige Erkenntnis: Ich kann tatsächlich lernen, anders mit der Angst umzugehen. Ich kann Abstand dazu gewinnen und bewusst entscheiden, wie ich auf sie reagieren will. Ich kann ihre Aussagen hinterfragen: Denn in einer grundsätzlich sicheren Umgebung übertreibt die Angst die Gefahr und unterschätzt gleichzeitig die Möglichkeit der Unterstützung von außen sowie die eigenen Ressourcen. Zudem stellt sie Forderungen, die im Wesentlichen so aussehen: „XY muss klappen, sonst ist alles am Arsch und schlimmstenfalls bin ich tot.“ Diese Drohkulisse lässt sich mit den richtigen Fragen und Gedanken relativieren.

Ich werde mutiger und brocke mir ein 200%-Ding auf meiner früheren Angstskala ein

Ich fing an, mein Angstkostüm immer öfter im Schrank hängen zu lassen und Dinge zu wagen. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ich mir im März 2023 etwas eingebrockt habe, das auf meiner früheren Angstskala bei 200 % lag.

Es fing harmlos an: Mein Prof. an der Uni schlug vor, dass ich einen Vortrag über unser Forschungsprojekt im Rahmen der Hochschultage Berufliche Bildung in Bamberg halten könnte. Ich reagierte naturgemäß verhalten – „Hmm, na ja, meinst du?“ Meine Angstkumpels verhielten sich still: Schließlich hatte ich nicht deutlich zugesagt. Meinem Prof. hingegen reichte die Zurückhaltung als Zustimmung. Er meldete mich einige Zeit später zum Vortrag an und hielt mir zufrieden das Veranstaltungsprogramm unter die Nase: Dort stand mein Name schwarz auf weiß: „Der Einfluss von WiSo-Abschlussprüfungen auf die Unterrichtsgestaltung (Teil III) – Janik Weyell (Universität Stuttgart)“.

Interessanterweise blieb immer noch alles ruhig an der Angst-Front: Ich hatte eine Menge gelernt. Eine Mischung aus Stolz auf die Anerkennung durch meinen Prof. sowie die fokussierte Arbeit am Projekt ließen mich nachts ruhig schlafen. Doch langsam sickerte die Realität Tropfen für Tropfen in mein Bewusstsein: Wir buchten einen Zug und dann ein Hotel. Wir bereiteten die Präsentationsfolien vor … und BÄM, da war sie wieder, meine Werkseinstellung:

„Jetzt musst du aber auch liefern! Im Publikum sitzen dir keine wohlwollenden Mitstudierenden gegenüber, sondern 40 wahrscheinlich kritische Berufsschullehrer*innen, Wissenschaftler*innen und Profs.! Sie werden dich rasieren!“

Mein Magen zog sich zusammen und ich spürte eine notorische Unruhe. Warum in aller Welt hatte ich diesem Vortrag zugestimmt?! Wo war der Notausgang? Das Ding war doch einfach eine Nummer zu groß.

Gegenmittel: Was den Säbelzahntiger in Schach hält

Diese Gedanken begleiteten mich immer öfter, doch war ich dank dem kognitiven Ansatz nun mit einem wirksamen Gegenmittel ausgestattet. Ich habe tief durchgeatmet und das körperliche Unwohlsein akzeptiert. „Ok, ich habe einen Knoten im Magen. Aber noch ist nichts passiert: Im Hier und Jetzt ist gerade alles safe. Es gibt keinen Säbelzahntiger und mein Leben ist davon noch lange nicht bedroht.“ Diese Feststellungen unterbrachen den Angstkreislauf und relativierten die Lage. Sie ermöglichten es mir, von einem Moment zum nächsten zu gelangen. Ein Gedanke von Daniel ist hier ganz zentral: „In der Gegenwart gibt es keine Angst“. Die Angst ist immer etwas, das auf einem Blick in die Zukunft basiert.

Ein weiteres Gegenmittel war die Untersuchung meiner Forderung „Jetzt MUSST du aber liefern! (sonst tot)!“ MUSS ich liefern, oder wünsche ich mir, dass ich liefere? Kann ich auch nicht liefern und überleben? Vermutlich ja.

Rückschläge

Im Zug nach Bamberg sah das Ganze dann (zumindest in meinem Kopf) etwas anders aus: Ich befand mich gefühlsmäßig wieder auf unterster Stufe und war mir plötzlich doch wieder sicher, dass am Ziel ein Säbelzahntiger auf mich warten würde. „Was ist, wenn ich es nicht schaffe? Was ist, wenn sie mich auseinandernehmen? Was ist, wenn ich mich blamiere?“ Mir war übel vor Angst und ich hatte weiche Knie. Ich wusste zudem, dass unsere Forschungsergebnisse bei einigen Personen im Publikum möglicherweise nicht nur auf Begeisterung stoßen würden, was alles andere nicht besser machte.

Vor Ort habe ich die Zähne zusammengebissen und trotz der Verlockung eines geselligen Abends mit Bierchen meine Folien erneut durchgeschaut. Es hat mich Überwindung gekostet, der Realität des Vortrags direkt ins Gesicht zu schauen und festzustellen, welche inhaltlichen Unsicherheiten noch bestehen. Doch ich habe es durchgezogen. Nach vier Durchgängen habe ich mich erschöpft ins Bett gelegt und konnte tatsächlich schlafen.

Morgens waren meine Beine lange vor dem Wecker wach: um 5 Uhr, um genau zu sein. Gefühlt 280 Volt jagten durch meine unteren Extremitäten. Mit nervösem Magen bin ich ohne Halt am Frühstücksraum vorbeigeflogen und landete paradoxerweise beim Bäcker. Zwischenzeitlich hatte sich nämlich eine andere Angst gemeldet: „Was ist, wenn du wegen Flüssigkeitsmangel und Unterzucker komplett den Faden verlierst und alle Übung dann doch nichts gebracht hat?!“ Ich würgte also eine trockene Brezel in mich hinein und tankte Wasser und Cola.

Mut rettet mich

Entsprechend gewappnet ging ich zum Vortragssaal und setzte mich ins Publikum: 1,5 Stunden lagen noch vor mir, bis ich dran war. Ab diesem Moment geschah ein kleines Wunder: Die schlimmste Aufregung fiel von mir ab. Ich befand mich nun endlich am Ort des Geschehens und die elende Warterei hatte fast ein Ende. Durch meine Arbeit am Vorabend wusste ich, dass ich gut vorbereitet war. Ich hatte nicht gekniffen und erlebte mich jetzt als aktiv handelnd anstatt passiv wartend. Es war wie eine Erlösung.

Mein Anspannungsniveau senkte sich immer weiter ab und als ich endlich dran war, war ich einfach nur glücklich: Endlich hatte ich es geschafft, endlich musste ich nicht mehr warten. Ich lieferte meinen Vortrag fokussiert ab und erhielt am Ende besseres Feedback als ich es mir erträumt hatte – sogar die kritischen Fragen konnte ich professionell beantworten. Die Resonanz bestätigten meinen Prof. und mich in unserem Vorhaben, einen wissenschaftlichen Beitrag über unsere Forschung zu schreiben.

Mein Trick gegen die Ängstlichkeit ist mein persönlicher Life-Changer

Wie so oft war die Angst vor dem Ereignis viel schlimmer als das Ereignis selbst. Diese Erfahrung hat mich mit Siebenmeilenstiefeln vorangebracht. Wenn ich auf das Jahr zurückblicke, dann wird mir klar, wie sehr ich mich von der automatischen Angstreaktion befreit habe. Die Gedanken kommen zwar manchmal noch (Werkseinstellung eben), aber sie lassen sich schnell einfangen. Ich bin inzwischen darin geübt, übertriebene und irrationale Angstgedanken zu hinterfragen und zu korrigieren. Dadurch beruhigt sich meine emotionale Lage gleich wieder. Mein Verhalten wird nur noch äußerst selten davon beeinflusst. Ich habe durch die letzten Jahre im DHI einen gesunden Umgang mit den Einschränkungen meines Naturells gefunden:

Der Trick ist, die Angst und Feigheit durch Mut, Tapferkeit und eine hohe Frustrationstoleranz zu ersetzen – ein absoluter Life-Changer. Denn Mut ermöglicht es mir, eine Sache trotz Angst anzupacken. Mut zur Lücke befreit mich von der Forderung, dass etwas unbedingt gelingen muss. Für mich persönlich ist das die wichtigste Erkenntnis aus der Arbeit mit dem kognitiven Ansatz und ich bin wirklich happy darüber, dass es sich so entwickelt hat. Raus aus der Komfortzone!

Euer
Janik Weyell